Dienstag, 20. Mai 2025

Der Niemals Meister Saisonrückblick 2024/25: Xabi geht, der Rekord bleibt – und die Salatschüssel leider auch

Es beginnt im Spätsommer 2024 mit diesem mulmigen Gefühl, das jeder Bayer-Fan kennt: optimistische Vorfreude, gut vermischt mit der vorsorglichen Angst vor dem nächsten Drama. Nach über einem Jahr ohne Bundesliga-Niederlage – 462 Tage lang ungeschlagen, man stelle sich das mal vor! – glaubten wir insgeheim schon, wir wären unkaputtbar. Typisch Bayer aber, dass genau in dem Moment, wo wir uns daran gewöhnen wollten, die nächste Ohrfeige bereitsteht. Anfang September kam RB Leipzig vorbei und beendete unsere schöne Serie in einem Spiel, das Theater und Tragödie zugleich war. 2:1 führten wir zur Halbzeit, die BayArena kochte, alles roch nach dem nächsten Triumph – bis Kevin Kampl kurz vor der Pause den Spielverderber gab. Was folgte, war ein Leipziger Sturmlauf und ein 2:3-Endstand aus unserer Sicht. So schnell kann’s gehen: Eben noch himmelhoch jauchzend, dann zu Tode betrübt. Wir Fans nahmen einen großen Schluck aus dem Becher Galgenhumor und grinsten uns an mit einem zerknirschten „Tja, typisch Bayer…“. Die erste Länderspielpause kam da gerade recht – Wunden lecken und Nerven sortieren war angesagt.

Doch an Aufgeben war nicht zu denken. Unsere Werkself startete nach diesem Dämpfer umso entschlossener durch, als hätte Xabi Alonso persönlich eine Trotzreaktion verordnet. In der Liga pflügten wir durch den Herbst wie eine gut geölte Maschine. Sieg reihte sich an Sieg, und wenn es doch mal holprig wurde, fanden die Jungs immer einen Weg. Elf Bundesligasiege am Stück standen irgendwann zu Buche – man zwickte sich gelegentlich in den Arm, ob das wirklich unser Bayer 04 da unten ist. Patrik Schick ballerte endlich wieder Tore am Fließband, sodass man fast vergessen konnte, wie verletzungsanfällig er zwischendurch war. Florian Wirtz verzauberte Woche für Woche mit Dribblings, die aussahen wie Kunstwerke in Bewegung. Jeremie Frimpong rannte die Außenbahn rauf und runter wie ein Duracell-Hase auf Espresso, und Neuzugänge wie der clevere Aleix Garcia fügten sich nahtlos ins Ensemble ein. Zuhause in der BayArena war Bayer kaum zu stoppen – und auswärts? Auswärts wurden wir langsam zur Legende. Jeder fremde Platz fühlte sich an wie unser eigenes Wohnzimmer. „Auswärts ist das neue Zuhause“, witzelten wir Fans, während die Werkself einen Auswärtsrekord nach dem nächsten aufstellte.

Natürlich lief nicht alles glatt, und so mancher Sieg war knapper als uns lieb war. Spiele wie im Dezember, als wir mit Ach und Krach einen Zittersieg einfuhren, ließen uns altern wie schlecht gelagerter Camembert. Und im November gab’s diesen Tag, an dem die Jungs uns zeigten, dass ein Vorsprung noch lange kein Sieg ist – leichtfertig wurden Punkte liegen gelassen, sehr zu unserem Leidwesen. Aber all das änderte nichts daran, dass Bayer 04 zur Winterpause voll im Soll lag. Platz 2 in der Tabelle, dicht hinter den Bayern, und die Stimmung in Leverkusen schwankte irgendwo zwischen vorsichtigem Träumen und der leisen Frage: „Könnten wir diesmal wieder …?

Im neuen Jahr nahm das Drama dann richtig Fahrt auf. Gleich Ende Januar stand der schwere Gang nach Leipzig an – und was soll ich sagen, es wurde wieder ein Bayer-Moment für die Geschichtsbücher. Im Fanbus nach Sachsen scherzten wir noch, warum wir uns das eigentlich antun. Die Antwort kam prompt auf dem Rasen: Weil wir die Mannschaft lieben, auch wenn sie uns in den Wahnsinn treibt. In Leipzig legten unsere Jungs los wie die Feuerwehr. Florian Wirtz zauberte durch die gegnerische Abwehr, Patrik Schick traf zur Führung, und Aleix Garcia erhöhte sogar auf 2:0 – wir rieben uns die Augen. Vielleicht, ja vielleicht schaffen wir es ja wirklich dieses Jahr? Doch wie wir Bayer-Fans wissen: Wer sich zu früh freut, ist meistens selbst schuld. Noch vor der Halbzeit verkürzte Leipzig durch einen abgefälschten Freistoß auf 2:1. Das Stadion wurde lauter, unsere Nerven flatterten, aber ich flüsterte mir zur Pause zu: „Das schaffen wir schon.“ Fehler Nummer eins.

Was dann kam, fühlte sich an wie ein schleichender Horrorfilm. Leipzig rannte unermüdlich an, aber unser finnischer Fels Lukas Hradecky hielt zunächst alles. Wirtz, unser kleiner Magier, traf an diesem Tag leider nur die Pfosten – als würde er einen Privatwettbewerb im Alu-Treffen veranstalten. Die Uhr tickte, Leipzig warf alles nach vorn, und wir verteidigten mit Mann und Maus. Doch in der 85. Minute passierte es: Freistoß Leipzig, Flanke in die Mitte – und Edmond Tapsoba erwischte den Ball mit dem Kopf. Dummerweise in unserem Strafraum, in Richtung unseres Tores. In einer Szene zum Haare raufen wuchtet er das Leder ins eigene Netz. Eigentore sind wie Liebeskummer: Du weißt, dass sie passieren können, ändern kannst du nichts, und weh tut’s trotzdem höllisch. 2:2 – statt eines Auswärtssieges gab’s nur einen Punkt. Ich stand im Gästeblock wie vom Donner gerührt, und während die Leipziger jubelten, realisierten wir: Die Bayern ziehen wieder einmal auf und davon. Sechs Punkte Rückstand jetzt – der Titelkampf, von dem wir heimlich geträumt hatten, rückte abrupt in weite Ferne. Es war, als hätte uns das Schicksal hämisch zugeflüstert: „Träumt nicht zu viel, ihr Leverkusener.“

Doch lange Zeit zum Hadern gab es nicht, denn auf mehreren Bühnen warteten große Auftritte. In der Champions League hatten wir uns in der neuen Ligaphase souverän unter die besten 16 Europas gespielt – Bayer 04 in der K.o.-Runde der Königsklasse, das klang nach ganz großen Nächten. Und dann meinte es die Los-Fee wie immer besonders gut mit uns: Achtelfinale gegen den FC Bayern München. Natürlich. Wer sonst? Wir Fans nahmen es mit einer Prise Ironie: Ausgerechnet der Rekordmeister, als müsste uns die Fußball-Götter noch extra prüfen. Das Hinspiel in München verlief schon unglücklich, sodass wir mit einem Rückstand ins entscheidende Rückspiel gingen. Aber oh, die Hoffnungen waren da: Eine magische Nacht in der ausverkauften BayArena – genau das hatten wir uns ausgemalt. Die Luft vibrierte, das Stadion ein Tollhaus, und die Mannschaft begann wie entfesselt. Bayer presste hoch, drängte Bayern hinten rein. Schick hatte Chancen, Frimpong wirbelte überall herum, und Granit Xhaka verteilte im Mittelfeld die Tacklings wie ein Türsteher an Karneval. Eine knappe halbe Stunde lang rochen wir an der Sensation – man merkte den Münchnern an, dass sie wackeln. Vielleicht, ganz vielleicht war da was drin?
Dann kam dieser Moment. Eine Unachtsamkeit bei einem Standard – Freistoß Bayern. Und wer steht natürlich goldrichtig? Harry Kane, dieser Tor-Magnet mit dem eingebauten Riecher für wichtige Buden. Zack – Kopfball, 0:1. In Kombination mit dem Hinspielergebnis fühlte sich das an wie eine eiskalte Dusche nach einer durchzechten Nacht: bitter, aber irgendwie auch vorhersehbar. Mit diesem Tor verabschiedete sich der letzte Funken unseres Traums vom Halbfinale. Die Werkself warf zwar noch einmal alles nach vorne, jeder Ball wurde nach vorn gepumpt – aber als Alphonso Davies uns auch noch das 0:2 einschenkte, war der Drops gelutscht. Aus der Traum. Keine magische Nacht, kein Wunder von Leverkusen. Stattdessen die ernüchternde Erkenntnis, dass uns bis zur europäischen Spitze doch noch ein Stück fehlt. Es tat weh. Weil wir diese Saison so oft bewiesen hatten, dass wir jeden schlagen können. Weil wir es so sehr wollten. Und weil wir uns alle insgeheim mehr erträumt hatten als das nächste Achtelfinal-Aus. Aber: Wir sind Bayer 04. Wir stehen immer wieder auf, egal wie oft es uns hinlegt. Die Champions League war vorbei, doch die Saison noch lange nicht!

Kaum hatten wir den europäischen K.o. verdaut, wartete der DFB-Pokal – unser verbleibender Pfad zu Ruhm und Silber. Als Pokalverteidiger (jawohl, endlich hatten wir ja mal einen Titel geholt im Vorjahr!) marschierten wir durch die Runden, und im Viertelfinale kam es zum Derbykracher gegen den 1. FC Köln. Ach, dieser Abend… Spiele gegen Köln sind ohnehin nichts für schwache Nerven, aber dieses Viertelfinale hat uns locker zehn Jahre altern lassen. Die Atmosphäre? Elektrisch. Das Spiel? Eine Berg-und-Talbahn der Gefühle. Bayer dominierte zunächst, vergab Chancen, und natürlich ging Köln dann plötzlich in Führung – ein klassischer Pokalstreicher, wie er im Buche steht. Damion Downs traf für die Domstädter und im Gästeblock der Kölner war Party angesagt. Wir Leverkusener Fans hingegen spürten schon das vertraute Flattern in der Magengegend: sollte unser Pokaltraum ausgerechnet gegen den Erzrivalen enden? Doch unsere Werkself antwortete mit Herz und Wut. Es ging hin und her, wir glichen aus, gingen in Führung – nur um dann doch wieder den Ausgleich zu kassieren. 2:2 nach 90 Minuten, Verlängerung, Puls bei 180. In der 98. Minute dann die Explosion: Tor für Bayer! 3:2! Köln warf noch einmal alles rein, erzielte sogar ein Tor – doch der VAR hatte kein Erbarmen mit ihnen: Abseits! Als der Schlusspfiff ertönte, lagen wir uns in den Armen, völlig erledigt und überglücklich. Sieg! Halbfinale! Was für eine Nacht am Rhein! Die Titelverteidigung lebte und obendrein hatten wir Köln mal wieder gezeigt, wo der Barthel den Most holt. In diesem Moment dachten wir wirklich: Pokal? Bayer kann das – vielleicht holen wir uns das Ding wieder!

Tja… vielleicht. Oder auch nicht. Denn vier Wochen später folgte der Tiefschlag der Saison, der uns noch lange in den Albträumen verfolgen wird: Pokal-Halbfinale auf der Bielefelder Alm. Drittligist gegen Bundesliga-Spitzenreiter – eigentlich eine klare Sache auf dem Papier. Aber im Pokal gelten andere Gesetze, schon klar. Trotzdem: Was an diesem Dienstagabend Anfang April passierte, fühlte sich an wie eine besonders fiese Folge von „Verstehen Sie Spaß?“ für Bayer-Fans. Wer live dabei war, hätte am liebsten nach 30 Minuten das Handy ausgeschaltet, das Trikot gleich bei 90 ° in die Waschmaschine geworfen und so getan, als wäre dieses Spiel nie passiert. Aber so funktioniert das Fanleben eben nicht – schon gar nicht in Leverkusen.

Dabei fing alles nach Plan an, als hätte jemand ein Drehbuch für einen souveränen Favoritensieg geschrieben: Jonathan Tah köpft nach einer Ecke das 1:0 für uns, und im Gästeblock herrscht bester Feierabendbier-Modus. Führung, alles supi – bis hierhin konnte man noch entspannt an der Stadionwurst knabbern. Doch, Hand aufs Herz, das war auch der letzte Moment, in dem Bayer wirklich Kontrolle über das Spiel hatte. Was danach kam, war kollektives Kopfschütteln. Bielefeld – dieser Drittligist! – presste aggressiv, unsere Mannschaft wirkte plötzlich ratlos, und Xabi Alonsos Matchplan schien auf dem holprigen Rasen der altehrwürdigen Alm nicht zu funktionieren. Lange Bälle segelten im hohen Bogen über das Mittelfeld, als glaubte man, wir spielten in einem Monsunregen oder wären ins Jahr 2005 zurückgebeamt worden. Aber auf diesem Acker kam jeder hohe Ball runter wie ein nasser Sack – so unwirksam wie ein veganer Grillabend in einer Metzgerei. Kombinationsspiel? Fehlanzeige. Tempo? Nur beim Gegner. Statt Plan B gab’s nur vergebliche Gewaltaktionen. Während wir also versuchten, irgendwie mit der Brechstange zum Erfolg zu kommen, machte Bielefeld exakt das, was wir eigentlich tun wollten: Fußball spielen. Die Arminen kombinierten, kämpften – und trafen. Zweimal klingelte es bei uns, und so paradox es klingt: Jeder Bielefelder Treffer fühlte sich fast schon unvermeidbar an. Unsere Defensive war auf einmal löchrig wie ein Emmentaler Käse, und vorn fanden wir keine Antwort. Ehe wir uns versahen, lagen wir zur Halbzeit 1:2 hinten – Tahs Führungstor längst nur noch Randnotiz, Bielefelds Fans auf den Rängen träumten vom Finale in Berlin, und wir standen da wie begossene Pudel.

In der zweiten Hälfte warteten wir dann verzweifelt auf eine Schlussoffensive unserer Werkself – aber da kam nichts außer planlosen Flanken und dem hilflosen Versuch, mit Tah als Not-Stürmer irgendwie den lieben Fußballgott umzustimmen. Klar, einmal klatschte noch ein Ball an den Pfosten, einmal zwang Amine Adli den Bielefelder Keeper zu einer Glanzparade. Doch die Wahrheit war: Wenn du in einem Pokal-Halbfinale gegen einen Drittligisten 45 Minuten lang keine echte Idee hast, brauchst du dich über das Ergebnis nicht wundern. 1:2 – Aus, vorbei, Nirgendwo statt Berlin. Nach Abpfiff standen die Spieler wie versteinert vor uns im Gästeblock. Granit Xhaka diskutierte frustriert mit den Fans, die Köpfe hingen, Augen starr ins Leere. Das war mehr als nur eine Niederlage – das fühlte sich an wie ein tiefer Stich ins Herz unserer Saison. Ein mentaler Knockout, der Narben hinterlassen würde.

Für uns hartgesottene Anhänger hieß es mal wieder: zusammensacken, einmal tief durchatmen und dann irgendwie weitermachen. Niemals aufgeben, auch wenn’s weh tut. Die Mannschaft schwor, jetzt erst recht in der Liga Gas zu geben – irgendwas noch aus dieser Saison rauszuholen, damit am Ende nicht nur Enttäuschung bleibt. Berlin war gestrichen, der Pokal futsch, also konzentrierten wir uns auf die Bundesliga.

Und tatsächlich zeigte die Werkself eine Reaktion. Im Liga-Endspurt war nun Charakter gefragt. Die Wochen nach dem Pokal-Aus waren allerdings zunächst ein Auf und Ab der Gefühle. Ein paar Spiele lang wirkten die Jungs verständlicherweise gezeichnet: Unentschieden reihten sich an Unentschieden, als steckten wir in einer Zeitschleife fest. Insbesondere ein trostloses 0:0 zu Hause gegen Union Berlin fühlte sich an wie „Und täglich grüßt das Murmeltier“ – wieder kein Sieg, wieder nur Frust. Auch zuvor gegen Bremen gab’s schon eine enttäuschende 0:2-Pleite – ein richtig gebrauchter Tag, an dem einfach gar nichts funktionieren wollte. Aber anstatt komplett den Kopf in den Sand zu stecken, rappelten sie sich noch einmal auf. Xabi Alonso erinnerte das Team daran, was es auszeichnet: Ruhe bewahren, an sich glauben, weitermachen.

Ende April, als schon alle dachten, die Luft sei raus, legte Bayer 04 nochmal einen Schalter um. Gegen Augsburg erlebten wir einen dieser Tage, an denen einfach alles passte: Sonnenschein, kaltes Bier im Stadionbecher und eine Werkself, die sich den ganzen Frust der letzten Wochen von der Seele schoss. 2:0 gewannen wir, locker-flockig und souverän, als hätte es nie einen Einbruch gegeben. Schick netzte früh, Buendía zauberte ein Traumtor in den Winkel – Popcorn-Kino vom Feinsten. Während wir ausgelassen feierten, wussten wir: Dieser Sieg war mehr als nur drei Punkte, er war eine Ansage. Die Bayern-Meisterfeier verschoben! Jawohl, durch diesen Dreier konnten die Münchner noch nicht vorzeitig den Titel klarmachen. Es fühlte sich an wie ein kleiner Sieg über den großen Rivalen, auch wenn der die Schale quasi schon mit einem Finger anfasste. „Auftrag erfüllt – Partycrasher vom Rhein“, lachten wir auf dem Heimweg. Die Jungs hatten bewiesen, dass sie Charakter haben. Und wir Fans dachten uns insgeheim: Vielleicht erlebt diese Saison ja doch noch ihr perfektes Happy End? Ein Fünkchen Resthoffnung glomm wieder auf – man wird ja wohl noch träumen dürfen.

Das drittletzte Saisonspiel in Freiburg allerdings setzte unseren Meisterträumen endgültig den Garaus – aber natürlich nicht, ohne uns vorher nochmal durch alle Emotionen zu jagen. Es war Jonathans Tahs 400. Spiel für Bayer 04, und was machte unser Kapitän? Er schrieb sein eigenes Drehbuch. Zunächst war die Partie ein zähes Ringen. Freiburg mauerte, wir spielten handzahmen Ballbesitzfußball ohne Durchschlagskraft. Im strömenden Regen passierte wenig – bis ein Fernschuss von Freiburgs Eggestein aus gefühlten 100 Metern plötzlich einschlug und unsere junge Leihgabe Matej Kovar im Tor dabei eher unglücklich aussah. 0:1 hinten. Und dann – weil Unglück selten allein kommt – fälschte Piero Hincapié kurz darauf einen Ball ins eigene Netz ab. Ein Slapstick-Eigentor der Extraklasse, bei dem allen Bayer-Fans kurz das Herz stehenblieb. 0:2! Ausgerechnet gegen Freiburg! Während die Breisgauer Anhänger von einer Sensation träumten, wussten wir: Ein Punktverlust hier bedeutet die Meisterschale für Bayern. Man konnte praktisch spüren, wie in München der Champagner entkorkt wurde. Trotzdem – oder gerade deswegen – kam noch einmal diese „jetzt erst recht“-Mentalität durch. Florian Wirtz nahm sich ein Herz und zauberte uns mit einem Solo zurück ins Spiel. Ein Dribbling durch die Freiburger Abwehr, Schuss an den Innenpfosten, Tor! 1:2 nur noch, zwanzig Minuten vor Schluss. Plötzlich war sie wieder da, diese kleine verrückte Hoffnung. Die Bayer-Hoffnung, die dich nie ganz verlässt, auch wenn der Verstand längst die Segel streicht.


Und tatsächlich, in der Nachspielzeit folgte die Krönung: Eine letzte Ecke für uns, der Ball segelt herein – und wer steigt am höchsten? Jonathan Tah. Mit seiner schmerzenden Abschiedsschulter (so stellte ich es mir zumindest vor) wuchtet er den Ball über die Linie! 2:2! Ausgleich! Wir auf den Rängen sind komplett aus dem Häuschen, jubeln wie die Weltmeister, als hätten wir soeben doch noch den Titel gewonnen. Tah hatte sich mit diesem Kopfball in unsere Herzen geköpft, im wahrsten Sinne. Klar, objektiv gesehen war es „nur“ ein Unentschieden. Ja, damit war die Meisterschaft endgültig futsch – die Bayern waren nun uneinholbar vorne und durften die hässliche Salatschüssel behalten. Aber was soll’s? In diesem Moment zählte für uns nur eins: 33 Auswärtsspiele in Folge ungeschlagen! Mit dem Punkt in Freiburg hatte Bayer Leverkusen den jahrzehntealten Auswärtsrekord der Bayern eingestellt. Zwei komplette Bundesliga-Spielzeiten ohne Auswärtsniederlage – das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen. Wenn schon keine Schale, dann wenigstens ein Eintrag in die Geschichtsbücher. „Ein Rekord für die Ewigkeit“, murmelte einer neben mir und klang dabei fast versöhnt. Wir nahmen es mit einem Schulterzucken: Dass wir mit diesem Punkt den Bayern offiziell den Titel überlassen haben? Geschenkt. Meister werden die sowieso immer – aber so einen Rekord, den haben wir! Einfach nur Wahnsinn. Einfach nur Bayer.
Damit ging es in den vorletzten Spieltag – ein Heimspiel gegen Borussia Dortmund, das jedoch weniger sportlichen Wert hatte als vielmehr emotionalen. Platz 2 war uns sicher, die Meisterschaft entschieden, Dortmund kämpfte noch um die Champions League-Platzierung, aber für uns Leverkusener drehte sich alles um den Abschied von zwei ganz großen Bayer-Legenden. Xabi Alonso und Jonathan Tah betraten zum letzten Mal im Bayer-Trikot die heimische Bühne. Das Spiel selbst? Nun ja, es geriet zur Randnotiz. Ja, wir verloren 2:4 gegen den BVB. Ja, vielleicht hätten wir gewinnen können, sogar müssen – einige Chancen waren da. Aber wen interessierte das an diesem Sonntag wirklich? Schon vor Anpfiff lag ein Hauch Melancholie über dem Stadion, mischte sich mit dem Duft von Bratwurst und Bier. Auf den Rängen wurden Banner hochgehalten: „Gracias, Xabi!“ stand da und „Danke, Jona!“. Als die beiden vor dem Anpfiff geehrt wurden, hatten selbst gestandene Südkurven-Ultras feuchte Augen. Wir wussten alle: Hier gehen zwei, die unser Bayer-Herz geprägt haben.

Xabi Alonso – der Maestro an der Seitenlinie, der gekommen war, als wir irgendwo zwischen „naja“ und „schon wieder Trainerwechsel?“ feststeckten, und der aus unserer grauen Suppe ein Sterne-Menü gezaubert hat. In kurzer Zeit formte er die Werkself zu einer der stilvollsten und erfolgreichsten Mannschaften Europas. Mit kühlem Kopf, klarer Philosophie und dieser unnachahmlichen Mischung aus spanischer Eleganz und deutscher Gründlichkeit brachte er uns zurück in die Spitze. Dass er uns nicht zur Meisterschale führen konnte, geschenkt – er hat uns etwas viel Wertvolleres hinterlassen: Hoffnung. Hoffnung und Stolz darauf, Bayer-Fan zu sein. Unter Xabi haben wir Fußball gesehen, der uns träumen ließ, und endlich das Gefühl bekommen, wir könnten wirklich mal was Großes reißen. Kein Wunder, dass an diesem Tag hunderte Schals mit seinem Namen hochgehalten wurden, als er zum letzten Mal in die Kurve winkte. Xabi kletterte sogar auf den Zaun, klopfte sich aufs Herz und verabschiedete sich mit glänzenden Augen von den Fans. In dem Moment hatten wir alle Gänsehaut. Da war mehr als nur ein Trainer, der ging – es fühlte sich an, als verabschiede sich ein Freund.

Und Jonathan Tah – unser „Capitano“ in dem Spiel, der Fels in der Brandung, zehn Jahre im Verein, durch alle Höhen und Tiefen gegangen. Dieser Mann hat verkörpert, was es heißt, ein echter Werkselfer zu sein: loyal, bodenständig, immer da, wenn’s brennt. Ein würdiger Abschied für eine Bayer-Ikone.
Letzter Spieltag in Mainz. Die Bayern sind Meister, Leverkusen Vizemeister. Aber Bayer 04 wäre nicht Bayer 04, wenn es nicht nochmal Drama gäbe. Drei Mainzer Tore annulliert. Zwei Elfmeter. Ein wackliger Punkt. 2:2. Und dann: 34 Auswärtsspiele in Folge ungeschlagen. Ein Rekord für die Ewigkeit.
Und so endet die Saison 2024/25 für Bayer 04 Leverkusen mit einem zweiten Platz in der Bundesliga, jeder Menge denkwürdiger Geschichten und diesem typisch ironischen Leverkusener Fazit: Alles gehabt – außer Meisterschale. Wieder mal kein Titel in der Liga. Aber seien wir ehrlich: Wer braucht schon jedes Jahr diese hässliche Salatschüssel, wenn man dafür Rekorde, legendäre Spiele und magische Momente am laufenden Band bekommen hat? Wir haben in dieser Spielzeit gelacht, geweint, gezittert und gejubelt. Wir haben Pokalnächte durchlitten und Champions-League-Träume geträumt. Wir sind aus allen Wolken gefallen und gleich danach wieder aufgestanden. Und am Ende steht da nicht nur ein guter Tabellenplatz und ein Auswärtsrekord für die Ewigkeit, sondern vor allem eines: das unerschütterliche Gefühl, dass es trotz allem verdammt Spaß macht, Bayer-Fan zu sein. Alonso geht, Tah geht – aber die Liebe zu diesem verrückten Verein bleibt. Wir haben wieder Hoffnung geschöpft, und das ist in Leverkusen bekanntlich selten genug.

Was bleibt von dieser Saison? Kein Titel. Aber Stolz. Freude. Hoffnung. Eine Mannschaft, die gewachsen ist. Ein Verein, der sich in die Herzen der Fans gespielt hat. Ein Trainer, der Stil hatte. Ein Abschied, der weh tat. Und ein Rekord, der für immer bleibt.

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